Gmünder Lufthansa-Kapitän fliegt Gmünder Schwimmer zu den Olympischen Spielen nach Tokio

Sonntag, 11. Juli 2021, 18 Uhr, Airport Frankfurt: Mit der Flugnummer 716 hebt eine Boeing 747-8, die größte Variante des Großraumflugzeugs 747, ab mit dem Ziel Tokio. An Bord neben nur wenigen Privatpassagieren sitzt das 34-köpfige Olympiateam des Deutschen Schwimmverbandes (DSV) mit Trainern und Betreuern. Darunter auch Henning Mühlleitner.

 

Der Gmünder Sportler des Jahres 2018 erlebt schon vor dem Start eine für ihn erfreuliche Überraschung: Er wird von Boris Kohleisen begrüßt. Der ist Lufthansa-Flugkapitän, kommt auch aus Schwäbisch Gmünd, ist Vater des Gmünder Schwimmertalentes Yannik Kohleisen, der mit Henning befreundet ist, und selbst ein passionierter Schwimmsportler. „Toll, dass Boris als Chef am Cockpit sitzt, da kann ich ja beruhigt schlafen“, freut sich Henning Mühlleitner. Knapp elf Stunden wird der Nonstopflug über rund 9200 Kilometer bis zum Flughafen Tokio-Haneda dauern.

 

 „Beim Landeanflug zeige ich dem Schwimmteam das olympische Schwimmstadion in Tokio, das liegt nur einige Kilometer vom Airport entfernt“, verrät Boris Kohleisen, der nicht zum ersten Mal die deutsche Schwimmnationalmannschaft fliegt. „Aber dieses Mal ist es auch für mich ein besonderer Flug“. Denn der 51-jährige Gmünder, der seit 20 Jahren Berufspilot ist, durfte in den vergangenen 16 Monaten wegen der Coronapandemie kaum fliegen: „Seit Ostern wird es langsam wieder besser, allerdings unter strengen Hygieneregeln“.

 

Die nimmt Henning Mühlleitner zwar nicht gerne in Kauf, er akzeptiert sie aber – denn: „Hauptsache, die Olympischen Spiele finden überhaupt statt und ich darf starten“.  Tokio war für den Staffeleuropameister und Bronzemedaillengewinner von der EM 2018 in Glasgow nämlich das große sportliche Ziel. Dafür zog er vor fünf Jahren ins Schwimm-Internat nach Saarbrücken, „baute“ sein Abitur, und wechselte 2018 zur Neckarsulmer Sportunion (NSU), weil er dort auf der 50-Meter-Bahn des AQUAtoll optimale Trainingsbedingungen hat. Dass die Olympischen Spiele von 2020 auf 2021 verschoben wurden, war für den Gmünder Informatikstudenten übrigens ein Glücksfall. Denn im vergangenen Jahr konnte Henning wegen einer Bakterienerkrankung kaum trainieren.

 

Inzwischen ist er wieder voll gesund. Unter dem neuen NSU-Chefcoach Matthew Magee, dem Nachfolger des neben Rainer Berkhahn zum Bundestrainer beförderten Hannes Vitense, hat er das Training neu konzipiert und forciert – mit Erfolg. Anfang April knackte Henning in Eindhoven/Niederlande über 400 Meter Freistil mit 3.45,55 Minuten die Olympianorm von 3.46,40 Minuten. Zeitgleich waren allerdings Doppelweltmeister Florian Wellbrock (3.44,36) und dessen 19-jähriger Magdeburger Vereinskamerad Lukas Märtens (3.44,86) etwas schneller und weil jeder Verband bei den Olympischen Spielen nur zwei Teilnehmer pro Disziplin melden darf, bekam Henning das Ticket erst, weil Doppelweltmeister Florian Wellbrock in Tokio sich ganz auf die Langstrecken über 800 Meter und 1500 Meter im Becken und über 10.000 Meter im Freiwasser konzentriert. Dazu sicherte sich Henning Mühlleitner bei der Olympiaqualifikation in Berlin einen Startplatz in der deutschen 4 x 200 Meter Freistilstaffel, für die sich außerdem noch Poul Zellmann (Essen), Lukas Märtens (Magdeburg) und Jacob Heidtmann (Elmshorn) qualifizierten.

 

Welche Chancen rechnet sich Henning Mühlleitner in Tokio aus? „Zweimal Finale“, sagt der erste männliche Gmünder Olympiateilnehmer (Angelika Grieser war 1976 in Montreal und Marion Wolters, geb. Zoller 1992 in Barcelona dabei) selbstbewusst, „im Einzel über 400 Meter Freistil und in der 4 x 200 m Freistilstaffel. In den letzten Wochen haben wir in Neckarsulm täglich rund 12 bis 14 Kilometer trainiert, ich fühle mich absolut fit“. Die Chancen auf den Endlauf dafür stehen nicht schlecht: In der Weltrangliste rangiert der deutsche Meister über 400 Meter Freistil unter den top ten. „Es wird auch viel davon abhängen, wie die anderen Athleten mit den Regelungen wegen der in Tokio wieder hohen Inzidenzwerten klarkommen“, weiß Mühlleitner, der bereits zweimal mit Biontech geimpft ist.

 

Die Einschränkungen werden erheblich sein, weiß auch Boris Kohleisen: „Vor dem Start in Frankfurt müssen alle Passagiere einen negativen PCR-Test vorlegen. Auch bei der Landung in Tokio wird getestet. In Heneda dürfen dann zuerst die Privatpasssagiere aussteigen, dann werden die Olympioniken einzeln herausgeholt. Das alles wird rund drei Stunden dauern.“

 

Von Tokio fliegen die Schwimmer/innen dann weiter nach Fukuona und von dort geht es mit dem Bus ins Trainingslager nach Kumamoto, wo der DSV auch schon im Jahr 2019 Quartier bezog.

 

„Erst am 21. Juli, also zwei Tage vor der Eröffnungsfeier, kommen wir Schwimmer ins Olympische Dorf“, berichtet Mühlleitner, „auf der sechsten Etage im Deutschen Haus beziehen wir zu dritt oder zu viert Appartements, dort dürfen wir uns relativ frei bewegen“. Aber die „Blase“ verlassen ist nicht drin – Henning Mühlleitner: „Wir dürfen nicht privat nach Tokio hinaus und wird dürfen auch nicht andere Wettkampfstätte besuchen“. Zum Training und zu den Wettkämpfen geht es mit einem Sonderbus. In der Halle gibt es keine Zuschauer. „Die Schwimmkameraden auf der Tribüne müssen also für Stimmung sorgen“, hofft Henning, „so war es auch bei den deutschen Meisterschaften in Berlin“.

 

Die Vorläufe über 400 Meter Freistil sind auf den 24. Juli terminiert, das Finale auf den 25. Juli. Die Vorläufe für die 4 x 200 m Freistilstaffel finden am 27. Juli statt, der Endlauf ist für den 28. Juli geplant. „Wenn wir im Vorlauf nicht unter die besten acht kommen, müssen wir schon am 29. Juli zurückfliegen“, sagt Mühlleitner. Denn für alle Athleten gilt: Sie müssen Tokio innerhalb von 48 Stunden nach Ende ihres individuellen Wettkampfes wieder verlassen.