Björn Koch als Bundestrainer bei der Gehörlosen-WM - Der Gmünder Schwimmvereinstrainer betreut die deutsche Nationalmannschaft bei den Kurzbahn-Weltmeisterschaften in Gliwice in Polen

Björn Koch hat als neuer Trainer beim Schwimmverein Gmünd eine Aufbruchstimmung ausgelöst: Fünfmal Edelmetall durch die Zwillingsschwestern Marie und Paula Fuchs und zahlreiche Finalteilnahmen von jungen Gmünder Talenten lautete die überraschende Erfolgsbilanz des Gmünder Teams bei den Deutschen Jahrgangsmeisterschaften in Berlin. Vom 13. bis 21. November wird Björn Koch nicht am Beckenrand des Gmünder Hallenbades stehen können: Der 33-jährige gebürtiger Wolfenbütteler betreut in seiner Funktion als Bundestrainer die drei Kadermitglieder des Deutschen Gehörlosen-Schwimmverbandes bei den erstmals ausgetragenen Kurzbahnweltmeisterschaften der Gehörlosen in Gliwice/Polen. Das Training der Gmünder Leistungsgruppe 1 leitet so lange Co-Trainerin Daniela Fuchs – nach den Plänen des Chefs.

 

Björn Koch ist seit Anfang 2019 Bundestrainer der gehörlosen Schwimmer/innen und war in dieser Funktion auch schon bei den letzten Weltmeisterschaften in Sao Paulo/Brasilien im Einsatz. In seiner aktiven Zeit war der Gmünder SVG-Coach einer der überragenden Schwimmer bei den Gehörlosen. Seine beeindruckende Erfolgsbilanz: Vierfacher Weltmeister, fünffacher Europameister, 39 Deutsche Meistertitel, 21 Weltrekorde, 25 Europarekorde, 20 Deutsche Rekorde, Weltsportler des Jahres 2006 und seit 2010 Träger des Silbernen Lorbeerblattes, der höchsten Auszeichnung für einen Sportler in Deutschland.

 

Der Deutsche Gehörlosen-Sportverband ist der Dachverband von 15 Landessportverbänden und mehr als 150 Vereinen des gesamten organisierten Gehörlosensports in Deutschlands (DGSV). Er wurde am 7. August 1910 in Köln als ältester Behindertensportverband in Deutschland gegründet und ist heute mit knapp 10.000 Mitgliedern ein eigenständiger Mehrspartenverband. Der DGSV ist Mitglied im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB), im International Commitee of Sports for the Deaf (ICSD) und im European Deaf Sports Organisation (EDSO) und vertritt mit ihren Spitzenleistungssportlern/innen Deutschland bei den Deaflympics, Weltmeisterschaften, Europameisterschaften und internationalen Wettkämpfen. Gleichzeitig verfolgt der Verband auch insbesondere die Ziele der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und der UN-Behindertenrechtskonvention. Außerdem ist der DGSV die Interessenvertretung für die gesamten Sportbereiche mit ihrer Kultur, Sportgemeinschaft und der Sprache, der Deutsche Gebärdensprache als ein eigenständiges, vollwertiges Sprachsystem. Diese Sprache ist die Verständigungsform, welche die große Mehrheit der Gehörlosen, aber auch viele andere Menschen mit Hörbehinderung jeden Alters in der Kommunikation verwendet.

„Heute sind die Teilnehmer/innen an Welt- oder Europameisterschaften der Gehörlosen absolute Spitzensportler/innen, die bei den Deutschen Meisterschaften der aktiven Schwimmer/innen die Endläufe erreichen können“, ordnet Björn Koch das Niveau ein. Der 20-jährige Lars Kochmann vom SSV Halle-Neustadt habe in Gliwice sogar gute Chancen, seine WM-Titel von Sao Paulo über 50 Meter Rücken (26,80 Sekunden!) und 100 Meter Rücken (57,85 Sekunden) zu verteidigen und in weiteren Disziplinen um Medaillen zu kämpfen. Vom 18-jährigen Niklas Müller vom GSV Heidelberg erhofft sich Björn Koch insbesondere über 1500 Meter Freistil und über 200 Meter Schmetterling die Qualifikation fürs Finale, während die 12-jährige vielversprechende Nachwuchsschwimmerin Paula Pichier von den Wasserfreunden Spandau in erster Linie „Erfahrungen sammeln soll“.

 

Die Kaderschwimmer/innen des Deutschen Gehörlosen-Schwimmverbandes trainieren alle bei „normalen“ Vereinen. „Ich stehe mit den Heimtrainern in ständigem Kontakt und bin über das Leistungsvermögen und die persönliche Situation immer informiert“, erklärt Björn Koch seine Kernaufgabe. Bei Wettkämpfen ist der Bundestrainer dann in erster Linie als fachkundiger Motivator und Betreuer gefragt. Wie viele anderen Sportarten haben auch die Gehörlosen Nachwuchsprobleme, die Mitgliederzahlen in den Vereinen sinken. „Schwimmen ist eben eine trainingsintensive und harte Sportart, die viel Zeit und noch mehr Disziplin erfordert, wozu heute immer weniger junge Menschen bereit sind“, weiß Björn Koch. Aber es gibt noch einen weiteren, einen positiven Grund, dafür: „Der medizinische Fortschritt ermöglicht es, dass gehörlose Menschen heute immer früher mit immer besseren Hörgeräten ausgestattet ihr Handicap mindern oder gar ausschließen können und so ein normales Leben führen können“, sagt Björn Koch. Bei ihm selbst wurde die angeborene Hörminderung durch zwei Cochlea-Operationen weitgehend behoben.

 

Gleiweitz – die Historie und der Bezug zum Schwimmverein

 

Gliwice, der Austragungsort der Kurzbahn-WM der Gehörlosen, hat eine historisch gesehen unrühmliche Bedeutung. Die fünftgrößte polnische Industrie- und Universitätsstadt (180.000 Einwohner) hieß bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges Gleiwitz und gehörte zum Deutschen Reich. Der inszenierte Überfall auf den Sender Gleiwitz am 31. August 1939 durch als polnische Partisanen verkleidete SS-Männer war für Adolf Hitler der letzte Anlass, einen Tag später Polen zu überfallen und damit den Zweiten Weltkrieg auszulösen.

 

Die Metropole Gleiwitz in Oberschlesien steht aber auch für eine besondere Beziehung zum Gmünder Schwimmverein. Dort wurde nämlich am 2. Mai 1911 Hans Richter geboren. Der Rücken- und Freistilschwimmer verfehlte nur ganz knapp die Teilnahme an den Olympischen Spielen 1936 in Berlin. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam er im Jahr 1948 nach einer zufälligen Begegnung mit der Gmünder Schwimmerin und Metzgerstochter Hedi Kummer (später Hirschler) mit seiner Frau Lotte und Tochter Susanne, die in den 1960-er-Jahren mehrfache deutsche Meisterin im Kunstspringen wurde, nach Schwäbisch Gmünd. Richter wurde vom damaligen SVG-Vorsitzenden Medizinalrat Dr. Hans Arnold als Trainer und Mitarbeiter beim Gesundheitsamt angestellt. Mit Hans Richter kam eine neue Philosophie und der absolute Leistungsgedanke in den Schwimmverein. Die lustigen Zeiten als „die Männer nach dem Training noch die Frauen in die Duschen trugen“, wie der Oberschlesier einmal erzählte, waren schnell vorbei. 1952 wurde der Schwimmverein Gmünd Deutscher Mannschaftsmeister und gehört seitdem zu den großen Hausnummern im deutschen Schwimmsport mit vielen deutschen Meistern/innen, von den Gebrüdern Botsch bis zu den Olympioniken Angelika Grieser, Marion Zoller und Henning Mühlleitner. Das jetzt der neue SVG-Trainer Björn Koch im Geburtsort von Hans Richter bei einem internationalen Schwimmwettkampf in der Verantwortung steht, kann durchaus als gutes Omen angesehen werden – Hans Richter und Björn Koch haben eines gemeinsam: Sie sind klare Verfechter des Leistungsgedanken, aber immer verbunden mit den Werten Kameradschaft und Freundschaft.