Tokio 2020 ist mein sportliches Ziel - Der Gmünder Spitzenschwimmer Henning Mühlleitner begründet im Interview seinen Wechsel zur Sportunion Neckarsulm. Vorsitzender Roland Wendel und Cheftrainer Patrick Engel zeigen Verständnis.

Der Wechsel von Henning Mühlleitner (Mitte) zur Sportunion Neckarsulm ist für den Schwimmverein und für die Sportstadt Schwäbisch Gmünd sehr bitter. Aber Vorsitzender Roland Wendel (links) und Cheftrainer Patrick Engel (recht) sehen die Fakten realistisch und haben Verständnis für die Entscheidung ihres Spitzenschwimmers, der weiterhin Mitglied beim SVG bleibt.

Der Spitzenschwimmer Henning Mühlleitner wird, wie berichtet, künftig nicht mehr für den Schwimmverein Gmünd (SVG) an den Start gehen, sondern für die Sportunion Neckarsulm. Was den Gmünder „Sportler des Jahres 2016“ zu diesem Schritt bewog und was dieser Wechsel für die Wettkampfmannschaft des SVG bedeutet, das erläuterten am Mittwoch der 20-jährige Nationalmannschaftsschwimmer, Schwimmvereins-Vorsitzender Roland Wendel und SVG-Cheftrainer Patrick Engel im Gespräch mit GT-Sportchef Werner Röhrich und mit Winfried Hofele.

Herr Mühlleitner, Ihr Wechsel von Gmünd nach Neckarsulm ist eine bittere Botschaft für den Gmünder Schwimmsport. Was sind die Gründe dafür?

Mühlleitner: Zunächst möchte ich betonen, dass ich weiterhin Mitglied beim SVG bleiben werde, Gmünd ist meine Heimat, beim Schwimmverein bin ich zu Hause. Die Gründe für meinen Wechsel sind vielschichtig und für einen Außenstehenden sicherlich nicht einfach zu verstehen. Es geht dabei nicht, wie man das vom Fußball her vermuten könnte, ums Geld, sondern einzig und allein darum, wie ich mein sportliches Ziel, nämlich die Teilnahme an den Olympischen Spielen 2020 in Tokio, erreichen kann.

Sie sind ja mit Blick auf dieses Ziel vor vier Jahren nach Saarbrücken umgezogen, um am dortigen Olympiastützpunkt auf einer sportgerechten 50-m-Bahn trainieren und im angeschlossenen Internat das Abitur machen zu können. Das alles hat ja gut geklappt, was hat sich nun verändert?

Mühlleitner: Die infrastrukturellen Bedingungen in Saarbrücken sind nach wie vor sehr gut, ich hätte dort auch studieren und weiterhin für den Schwimmverein Gmünd starten können. Aber die Konzeption der Spitzensportförderung durch den Deutschen Schwimmverband hat sich auf Drängen des Bundesinnenministeriums total verändert. Das hat zur Folge, dass Sportler aus dem Olympiakader, dem ich angehöre, an nur noch an den vier Leistungszentren Hamburg, Essen, Heidelberg oder Berlin trainieren sollen. Bundestrainer Henning Lambertz hat mich deshalb aufgefordert, nach Hamburg zu wechseln.

Und das wollen Sie nicht?

Mühlleitner: Prinzipiell habe ich nichts gegen Hamburg. Aber ich will mir mein Umfeld nicht aufzwingen lassen. Hinzu kam, dass mein Saarbrückener Trainer Hannes Vitense, der mich in den vergangenen Jahren sehr erfolgreich an die Spitze geführt hat und zu dem ich großes Vertrauen habe, aufgrund der aufdiktierten Leistungssport-Reform in Saarbrücken keine Perspektiven mehr sah und deshalb ein Angebot der Sportunion Neckarsulm angenommen hat, dort als Trainer zu arbeiten. Ich stand also vor der Alternative, mich den Anforderungen des Bundestrainers zu unterwerfen oder zusammen mit Hannes Vitense etwas Neues zu wagen.

Was ist denn neu in Neckarsulm?

Mühlleitner: Zum einen gibt es dort eine 50-m-Bahn, die jederzeit zum Training zur Verfügung steht. Und es gibt dort einen Pool von Unternehmen um Christian Hirschmann, die den Schwimmsport auf privater Ebene so fördert, wie es bei uns aus öffentlichen Mitteln durch die Bundeswehr oder die Polizei die Regel ist. In Neckarsulm können Spitzensportler unter Profibedingungen trainieren und haben gleichzeitig die Chancen, bei einem Unternehmen eine Lehre zu absolvieren oder zu studieren.

Wie sieht das konkret bei Ihnen derzeit aus?

Mühlleitner: Ich bin inzwischen nach Neckarsulm umgezogen und gehöre noch bis September 2018 der Sportförderkompanie der Bundeswehr an. Demnächst werde ich von Warendorf nach Bruchsal versetzt. Vom Soldatendienst bin ich allerdings freigestellt. Und an der Hochschule Heilbronn werde ich mein Wirtschaftsinformatikstudium aufnehmen.

Wenn Sie der Sportförderkompanie angehören, werden Sie ja auch finanziell unterstützt. Bleibt das so?

Mühlleitner: Ich hoffe es, aber das kann sich schnell ändern. Beim Deutschen Schwimmverband ist derzeit ja viel im Umbruch.

Wenn Sie sich nicht den Forderungen des DSV unterwerfen, kann es dann auch sein, dass Sie nicht mehr für internationale Wettkämpfe nominiert werden?

Mühlleitner: Beim Schwimmen zählt ja Gott sei Dank immer noch die Leistung. Und die ist auf der Stoppuhr ablesbar. Es gibt für Weltmeisterschaften oder Olympische Spiele Qualifikationsnormen und wer die erfüllt, wird auch zu den Wettkämpfen gemeldet.

Sie sind also überzeugt, mit Hannes Vitense den Sprung nach Tokio zu schaffen?

Mühlleitner: Das ist mein Ziel. Ich bin vom Projekt Neckarsulm überzeugt. Es entsteht dort auch eine starke Trainingsgemeinschaft mit Staffel-Europameister Clemens Rapp, der aus Ravensburg kommt, an der Spitze. Für mich ist auch der wichtig, dass das menschliche Umfeld passt.

Herr Wendel, wie steht der Schwimmverein zum Wechsel?

Roland Wendel: Für mich als Vorsitzender ist es natürlich schade, wenn unser bester Athlet und das Idol unserer Nachwuchsschwimmer nicht mehr für Gmünd startet. Aber als Sportler – ich selbst bin ja in meiner besten Zeit als Aktiver für den SV Wuppertal geschwommen – habe ich für diesen Schritt Verständnis. Gmünd kann eben nicht die Trainings- und auch nicht die finanziellen Rahmenbedingungen bieten, die für internationalen Spitzensport notwendig sind. Das sind Fakten. Und ein Sportler, der an Olympischen Spielen teilnehmen will, hat nicht viel Zeit und viele Versuche. Deshalb muss Henning jetzt das tun, was er für sich als richtig ansieht. Er wird immer einer von uns sein und bleiben, wir wünschen ihm nur das Beste. Eines Tages wird er zu uns zurückkommen und unsere Seniorenteam verstärken. Deshalb werden wir jetzt nicht jammern, sondern weiter mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln unsere Ziele verfolgen: Wir brauchen eine 50-m-Bahn, um jungen Menschen das Schwimmen beizubringen und um aus Talenten weitere „Hennings“ zu formen. Der SVG ist eine gewachsene starke Gemeinschaft.

Wie beurteilen Sie die Konzeption des DSV, durch Konzentration der Spitzenkräfte mehr Medaillen bei Großereignissen zu gewinnen?

Wendel: Das ist meiner Ansicht der falsche Weg. Man kann nicht nur von oben arbeiten und den Unterbau ignorieren. Ohne gezielte Nachwuchsausbildung und -förderung geht es nicht auf Dauer. Und diese Arbeit wird an der Basis gemacht, also in den Vereinen. Der DSV darf sich nicht abkoppeln von seinen Vereinen und deren Trainern.

Herr Engel, wie weh tut Ihnen der Abgang von Henning?

Patrick Engel: Sehr weh natürlich, das ist ein enormer Verlust für unsere Mannschaft. Persönlich verstehe ich Henning.

Was bedeutet der Verlust sportlich für den Schwimmverein?

Engel: Mit Henning könnten wir in der Königsstaffel über die 4 x 200 m Freistil aufs Podest bei den deutschen Meisterschaften schwimmen. Und mit der Männermannschaft werden wir es jetzt verdammt schwer haben, den Klassenerhalt in der 2. Bundesliga zu schaffen. Es fehlt uns ja nicht nur Henning, sondern auch Maximilian Forstenhäusler, der in den USA studiert und trainiert, und Per Kleinschmidt, der für ein halbes Jahr nach Melbourne/Australien geht. Die Sportunion Neckarsulm wird wohl in die 1. Bundesliga aufsteigen und auch die SG Reutlingen wird uns überholen. Wir werden aber alles daran setzen, mit unseren eigenen jungen Schwimmern weiter erfolgreich zu bleiben.

Gmünder Tagespost, 13.09.2017