Auf dem Podium – das ist Euphorie pur - Der Gmünder Europameister Henning Mühlleitner erzählt im Interview über seine Glücksmomente in Glasgow und weshalb er trotz Erkrankung wieder in Form kam und wer ihm dabei half.

Bei den Schwimm-Europameisterschaften in Glasgow wurde der Gmünder Henning Mühlleitner zum Shootingstar im Team des Deutschen Schwimmverbandes (DSV): Über 400 Meter Freistil gewann er die Bronzemedaille, einen Tag später kam noch Gold in der 4 x 200 Meter Freistilstaffel Mixed dazu. Obwohl der Student der Wirtschaftsinformatik seit Herbst 2017 für die Sportunion Neckarsulm startet, freute sich die ganze Sportlerfamilie in Gmünd mächtig über seine großartigen Erfolge. Am Dienstag hat sich Mühlleitner auf Einladung von OB Richard Arnold ins Silberne Buch der Stauferstadt eingetragen. Winfried Hofele sprach mit dem Europameister.

Henning, Glückwunsch. Hatten Sie auf Erfolge in Glasgow gehofft?

Mühlleitner: Auf Medaillen hofft man immer. Als ich schon frühzeitig in Stockholm mit 3.46,94 Minuten über 400 Meter Freistil und in 7.51,96 über 800 Meter Freistil die EM-Norm erfüllte, war ich zuversichtlich. Später war ich aber etwas verunsichert.

Und weshalb?

Weil ich nach Stockholm nicht wie geplant trainieren konnte. Es standen Klausuren an der Hochschule in Heilbronn an, ärgerlich war aber vor allem, dass ich mir eine Nasennebenhöhlentzündung zuzog und nicht am Höhentraining des DSV in der Sierra Nevada teilnehmen konnte.

War darauf der kleine Leistungsabfall bei den Deutschen Meisterschaften in Berlin zurückzuführen?

Nein. Berlin bin ich aus dem vollen Training geschwommen. Ich habe mit meinem Coach Hannes Vitense in Neckarsulm hart gearbeitet, bis zu 16 km am Tag. Und ich bekam ein Zelt über mein Bett gestellt, in dem die Höhenlage simuliert wurde. Grundsätzlich geht es aber nicht, zweimal in kurzer Zeit in Hochform zu sein . So war mein Ziel in Glasgow, die Zeiten von Stockholm zu bestätigen und ins Finale zu kommen.

Und dann kam in Glasgow die Form plötzlich wieder zurück.

Aus heiterem Himmel nicht. Geholfen hat mir Birte Steven. Die Ehefrau von Hannes Vitense ist Sportpsychologin. Sie hat mir gelernt, mich von negativen Gedanken zu befreien, in dem ich positive Tageserlebnisse aufschreibe und sie mit einpräge. Auch mit meinem für die EM zuständigen Bundestrainer Stefan Hansen habe ich gute Gespräche geführt. Er sagte: Schwimm Dein Rennen und schau‘ nur auf Dich. Da habe ich gemacht und es hat funktioniert – fürs 400-Meter Finale qualifizierte ich mich als Vorlaufdritter.

Da spekuliert man dann doch auf eine Medaille?

Ich hab an einen Spruch des früheren Weltmeister Frank Steinbach gedacht: „In so einem Finale geht jedem der Stift!“ Dass der Ukrainer Mychajlo Romanschuk wohl nicht zu packen war, wusste ich – aber vor den anderen hatte ich keine Angst. Auf den ersten 300 Metern habe ich mich nur auf mich konzentriert, bei der vorletzten Wende habe ich mich zweimal umgeschaut und dachte – da ist eine Medaille drin. Und auf der letzten Bahn habe ich dann mit starkem Beinschlag Vollgas gegeben.

Und wie ist das, wenn man anschlägt, sieht an der Anzeigentafel, dass man Bronze hat, und dann auf dem Podium steht?

Nur gigantisch. Das ganz Finale ist eine hochemotionale Sache. Die Atmosphäre im Callroom, wenn man mit den anderen Finalisten zusammensitzt und sich gegenseitig beäugt, ist prickelnd und die Vorstellung der Athleten in der Halle hat mich richtig aufgeputscht. Wenn man auf dem Podium steht, weiß man – Entschuldigung – wofür man sich im Training den Arsch aufreißt.

Ihre Medaille, die erste für den DSV, hat dann die ganze Mannschaft mitgerissen. Wie haben Sie das erlebt?

Die Stimmung im Team war eigentlich von Anfang an gut. Wir verstehen uns alle bestens. Als wir am zweiten Tag in der 4 x 200 Meter Freistilstaffel Mixed die Goldmedaille gewonnen haben, sind alle ausgerastet. Das war pure Euphorie.

"Dopingproben gehören konsequent dazu."

Henning Mühlleitner, Schwimmer

War Platz 4 mit der 4 x 200 Meter Freistilstaffel der Herren eine kleine Enttäuschung?

Mein Kumpel Jakob Heidtmann und ich haben schon mit Bronze spekuliert, aber es reichte leider nicht. Großbritannien, Russland und Italien waren besser, das muss man akzeptieren.

Zur Stimmung im Team. Bundestrainer Henning Lambertz stand nach der WM 2017 heftig in der Kritik. Er wollte ja auch, dass Sie ins Leistungszentrum nach Hamburg gehen, ansonsten würden Sie aus dem Förderkader fliegen.

Der Bundestrainer muss das von der Politik vorgegebene System realisieren und Medaillen liefern, auch wenn das auf Kosten der Sportler geht. In Glasgow ist Henning Lambertz souverän und respektvoll auch mit den Athleten umgegangen ist, die nicht in einem Stützpunkt trainieren.

Dazu gehört auch der 1500-Meter Freistil-Europameister Florian Wellbrock. Wie stehen Sie zu ihm?

Ein toller Junge, wir funken auf gleicher Wellenlänge. Wenn der in Tokio 2020 die 10 Kilometer im Freiwasser schwimmt, wird er Olympiasieger.

Apropos Olympische Spiele. Was wollen Sie in Tokio schwimmen?

Mein Fokus liegt klar auf den 400 Meter Freistil. Und ich will in der 4 x 200 Meter Freistilstaffel dabei sein. Die 800 Meter Freistil ist eine Nebenstrecke.

Haben Sie in Glasgow auch andere Sportveranstaltungen besucht?

Das ging leider nicht. Aber in der Stadt hat man gespürt, dass hier Europameisterschaften in mehreren Sportarten stattfinden.

Wie scharf waren die Dopingkontrollen in Glasgow?

Ich bin im obersten Testpool und muss immer angeben, wo ich zu bestimmten Zeiten bin. Die Untersuchungen sehe ich nicht als Belastung, sie gehören konsequent dazu.

Was steht in diesem Jahr noch an?

Am 2. September fliege ich nach Flagstaff in den USA ins Trainingslager. Im Dezember finden in Hangzhou in China die Kurzbahn-Weltmeisterschaften statt. Dafür habe ich mich bereits qualifiziert.

© Gmünder Tagespost 17.08.2018