Henning Mühlleitner - Tokio 2020 ist nach wie vor das Ziel

Im Interview erzählt Henning Mühlleitner wie er eine rätselhafte Erkrankung mental und körperlich überwunden hat und wie er sich für die Olympischen Spiele in Japan qualifizieren will.

 

Winfried Hofele

 

Als im Herbst 2017 Henning Mühlleitner zur Neckarsulmer Sportunion wechselte, war der Schock beim Schwimmverein Gmünd groß. „Wir müssen es halt akzeptieren, dass unsere besten Athleten zu anderen Vereinen gehen, weil wir in Gmünd keine optimalen Trainingsbedingungen bieten können“, sagte SVG-Vorsitzender Roland Wendel. „Ich werde den Schwimmverein aber immer im Herzen tragen“, hatte Gmünds „Sportler des Jahres“ beim Abschied versprochen. Und dazu steht er: Am vergangenen Sonntag tauchte Henning Mühlleitner (22) im Bud-Spencer-Bad und absolvierte ein „lockeres“ Trainingsprogramm – 6000 Meter. Im Interview spricht Henning Mühlleitner über seine Krankheit, die ihn lange außer Gefecht setzte, und über sein großes Ziel, das nach wie vor Olympische Spiele 2020 in Tokio/Japan heißt.

 

Herr Mühlleitner, bei den Europameisterschaften 2018 in Glasgow waren Sie der Shooting-Star: Gold mit der 4x200-Meter-Mixed-Freistilstaffel und Bronze im Einzel über 400 Meter Freistil. Dann folgte eine Knieoperation und plötzlich hatten Sie eine rätselhafte Erkrankung. Was war geschehen?

 

Ich war nach der OP gerade wieder im Aufbautraining, als ich bei einem Mexikaner ein Bakterium eingefangen habe. Eine Woche lag ich mit hohem Fieber und einer Magen-Darm-Infektion im Krankenhaus. Das Bakterium hatte eine reaktive Arthritis verursachte. Meine Gelenke im Finger, im Zeh, in der Hand und im Kiefer schwollen an und taten extrem weh. Auch die Entzündungswerte waren oben. So ging das bis Ende Februar.

 

Und ist jetzt wieder alles o. k.?

 

Ich gehe davon aus. Ich bin wieder voll motiviert und greife zu 100 Prozent an.

 

Sie mussten die WM 2019 in Gwangju abschreiben. Wie lange brauchten Sie, um das mental abzuhaken?

 

Am Anfang war das nicht einfach. Ich habe aber schon im Dezember 2018 die WM in Südkorea abgehakt, um mir selber den Druck zu nehmen. Ich sagte mir: Ich kann, nicht ich muss. Mir war wichtig, mit den Trainern einen konkreten Aufbau zu definieren und einen Plan B bis Tokio zu haben. Aber es ist schon merkwürdig, was eine längere Pause mit einem macht. Mir tat es gut, weil ich einen anderen Blick auf die Sache bekommen habe.

 

Hat Sie die Krankheit reifer gemacht?

 

Die Geschichte hat mich schon zum Denken angeregt. Die Wohngemeinschaft mit meinem Mentor Christian Hirschmann, seiner Frau und den anderen NSU-Schwimmern hat mich gut durch diese Zeit getragen. Ich habe gelernt, mir mehr Zeit zu geben. Und ich bin auch häufiger zu meinen Eltern nach Schwäbisch Gmünd gefahren, habe mich dort verwöhnen lassen und habe mich etwas zurückgezogen.

 

Wie reagierte Ihr Körper?

 

Ich hatte das komplette Gefühl für meinen Körper und das Wasser verloren. Aber es ging recht schnell wieder voran.

 

Wie verlief die Saison 2019?

 

Bei einem Meeting in Stockholm ging ich erstmals an den Start. Die Zeiten waren sekundär. Die Universiade in Neapel war ein tolles Erlebnis. Es reichte für mich zu zwei siebten, einem 13. und einem 15. Platz. Die Zeiten sind ausbaufähig. Bei den deutschen Meisterschaften in Berlin wurde ich über 400 Meter Freistil in 3.52,42 Dritter und beim Weltcup-Meeting in Singapur gab es für mich zweimal Silber über 400 Meter und 1500 Meter Freistil.

 

Und wie geht es weiter?

 

Es steht ein Höhentrainingslager mit in Ersurum in der Türkei an. Dann geht es zur Kurzbahn-EM nach Glasgow. Der Fokus liegt aber auf dem Aufbau für Tokio.

 

Welche Disziplinen wollen Sie bei den Olympischen Spielen bestreiten und welche Kriterien gelten für die Qualifikation?

 

Mein Ziel sind die 400 Meter Freistil. Die Norm liegt bei 3.46 Minuten, also in etwa bei meiner Bestzeit. Dann möchte ich in die 4 x 200 Meter Freistil-Staffel schwimmen. Die Qualizeiten kann ich bei zwei internationalen Meetings im Frühjahr 2020 in Stockholm oder in Bergen/Norwegen oder bei den deutschen Meisterschaften erreichen. Da muss ich über 400 Meter Freistil zusätzlich unter die besten drei und über 200 Meter Freistil unter die ersten vier kommen.

 

Ihr Coach Hannes Vitense ist inzwischen auch Bundestrainer. Ist das ein Vorteil?

 

Am seinem Engagement hat sich nichts geändert. Hannes geht immer über 110 Prozent. Dass er Bundestrainer ist, ist bestimmt kein Nachteil. Aber wir haben hier mit dem Team „Tokio Metropolregion Rhein-Neckar“, zu dem Schwimmer wie Anika Bruhn oder Philip Heinz, die Handballer Uwe Gensheimer und Patrick Groetzki oder die Leichtathleten Milaika Mihambo und Andreas Hofmann gehören, eine professionelle Unterstützung. Das motiviert.

 

Wie sieht es mit dem Studium aus?

 

Ich studiere an der Hochschule Heilbronn im dritten Semester Wirtschaftsinformatik als Werkstudent. Ich muss mich gut organisieren, damit weder Schwimmen noch Studium zu kurz kommen. Bis zum Bachelor sind es sieben Semester. Ich werde vor Tokio ein Urlaubssemester einbauen. Denn der Trainingsumfang mit bis zu zehn Einheiten pro Woche ist hoch.

 

Was machen Sie, wenn Sie keinen Sport treiben?

 

Wie die meisten jungen Leute: Computer spielen oder chillen. Oder Radfahren, gerade komme ich von einer Tour über die Remstalgartenschau-Route zurück. Das ist ja toll hier.

 

Herr Mühlleitner, alles Gute auf dem Weg nach Tokio.

 

© Gmünder Tagespost 03.09.2019 18:29