Mit einem fulminanten Paukenschlag katapultierte sich Henning Mühlleitner am Samstagabend 19.54 Uhr Ortszeit bei den Olympischen Spielen in Tokio mitten hinein in die Weltspitze. Der Gmünder Schwimmer in Diensten der Neckarsulmer Sportunion pulverisierte im vierten von fünf Vorläufen über 400 Meter Freistil seine persönliche Bestzeit um sagenhafte 1,7 Sekunden auf 3:43,67 Minuten und war damit Schnellster in der Qualifikation – und plötzlich gleich Medaillenkandidat. Gerade mal 15 Stunden später, um 3.40 Uhr MEZ am Sonntag, schlug er im Finale zeitgleich mit dem Österreicher Felix Auboeck in 3.44,07 als Vierter an, nur einen Wimpernschlag von 13 Hundertstelsekunden hinter dem Bronzemedaillengewinner Kirian Smitz aus den USA. Gold sicherte sich überraschend der erst 18 Jahre alte Tunesier Ahmed Hafnaoui (3:43,36) vor dem Australier Jack McLoughlin (3:43,52). „Ich bin maximal zufrieden mit meinem Platz und mit meinem Rennen“, strahlte er 24-Jährige, „zumal ursprünglich die Finalteilnahme mein großes Ziel war.“
Nach seinem Vorlaufsieg am Samstag schmunzelte freudig überrascht in sich hinein: "Nice, Junge“. Er hatte den späteren Goldmedaillengewinner um 2,01 Sekunden und auch seinen Mannschaftskameraden Lukas Märtens aus Magdeburg, der auf den 12. Rang kam, hinter sich ließ gelassen. Auf der zuschauerfreien Tribüne jubelten derweil die Teamkollegen um Weltmeister Florian Wellbrock mit Deutschland-Fahnen über die schlaue Taktik des Gmünders, der die zweiten 200 Meter schneller schwamm als die ersten und das Feld von hinten förmlich aufrollte und überholte. „Nach der ersten Freude über die neue Bestzeit zeigte Mühlleitner aber gleich auch Respekt, dass er im Finale auf der Favoritenbahn schwimmen muss: „Das bringt natürlich ein bisschen Druck rein, jetzt muss ich möglichst wenig Körner verlieren, schnell einschlafen, um dann wieder angreifen“.
Er stellte deshalb sein Handy, aus, würfelte nach dem Abendbrot mit seinem Zimmernachbarn, dem Doppelweltmeister im Brustschwimmen Marco Koch, noch ein Kniffelspiel, um nach einer eher unruhigen, aber guten Nacht erneut glänzen zu können. Kurz bevor ich vom Callroom heraus in die Arena gelaufen bin, habe ich dann doch gemerkt: Das wird spannend. Aber ich habe trotzdem mal kurz gelächelt unter der Maske und habe den Moment mega genießen können“, erzählte Mühlleitner.
Während die Konkurrenz gleich nach dem Startsignal wieder sehr schnell loslegte, teilte sich Mühlleiter das Rennen ähnlich wie am Vortag erneut viel gleichmäßiger ein. In der zweiten Rennhälfte rückte er so dann immer weiter nach vorn, am Ende fehlten nur 13 Hundertstel zum ersten Medaillengewinn eines deutschen Schwimmers im Einzel seit Stev Thelokes Bronze über 100m Rücken im Jahr 2000.
Auf die Frage eines Reporters, ob zehn Meter mehr vielleicht für die Medaille gereicht hätten, antwortete Mühlleiter gelassen: „Also ich finde es toll, wie man dann nochmal die Energie herziehen kann auf den letzten 50 Metern. Aber da haben ja alle plötzlich nochmals Volldampf gegeben. Zehn Meter länger ist egal, die Bahn ist 50 Meter lang und da zählt, wer als Erstes die Hand an die Wand kriegt - und ich war halt der Vierte heute, so ist das.“
Auch dass seine Vorlaufbestzeit vom Vortag zu Bronze gereicht hätte, vermochte den Studenten der Wirtschaftsinformatik nicht zu vertrüben. Die kurze Regenerationsphase im olympischen Zeitplan mussten ja alle gleich meistern. „Heute früh war ein neues Rennen. Ich habe mir auch Szenarien ausgemalt, dass wir heute plötzlich nur noch 3:46 schwimmen und dass da die Medaillen weggehen. Oder plötzlich kommt einer, wie jetzt der Tunesier ganz überraschend auf der Außenbahn, und schwimmt nochmal eine schnellere Zeit heute früh.“
Fakt ist, dass Mühlleitner dem Team des Deutschen Schwimm-Verbandes (DSV) einen verheißungsvollen Olympiastart verschafft hat. „Henning und sein Trainer Matt Magee haben hervorragende Arbeit geleistet“, lobte auch Bundestrainer Bernd Berkhahn. Der Australier Magee arbeitet seit dem Frühjahr 2020 in Neckarsulm.
Unmittelbar nach dem Finale schaltete Henning Mühlleitner sein Handy wieder ein und bedankte sich prompt bei den vielen Gratulanten. Darunter war natürlich auch Roland Wendel und Wolfgang Patzke, der Vorsitzende und der Ehrenvorsitzende seines Heimatvereins Schwimmverein Gmünd: „Wir sind stolz auf Deine Leistung und drücken Dir für die 4 x 200 Meter Freistilstaffel ganz fest die Daumen“. In dieser Königsdisziplin des Schwimmsports startet Henning Mühlleitner am 27. Juli um 13 Uhr MEZ zusammen mit Lukas Märtens (Magdeburg)m Jacob Heidtmann (Elmshorn) und Poul Zellmann. Auch hier das Ziel: Finale der besten acht.
· Endstand Finale 400 Meter Freistil
1. GOLD: Ahmed Hanaoui (TUN) – 3:43.36
2. SILVER: Jack McLoughlin (AUS) – 3:43.52
3. BRONZE: Kieran Smith (USA) – 3:43.94
4. Henning Muhlleitner (GER) / Felix Auboeck (AUT) – 3:44.07
6. Gabriele Detti (ITA) – 3:44.88
7. Elijah Winnington (AUS) – 3:45.20
8. Jake Mitchell (USA) – 3:45.39